Beitrag

Licht und Arbeit von Prof. Dr.-Ing. Schultz

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Gesamtbeitrag (ca. 1,8 MB)
Kapitel 1 (Raumgestaltung ca. 0,6 MB)
Kapitel 2 (Raum und Nutzer ca. 0,8 MB)
Kapitel 3 (Entscheidungs- und Planungshilfe ca. 0,4 MB)
Kapitel 4 (Literaturindex ca. 26 KB)

Die vom FVLR veranlaßte Studie "Tageslicht nutzen" ist in einen ergonomischen, einen technischen und einen architektonischen Teil untergliedert. Hierbei geht es um Tageslicht als solches, insbesondere aber um Tageslicht, das durch Deckenöffnungen als Oberlicht in den Raum wirkt.

Der architektonische Beitrag vermittelt schrittweise und analysierend Grundlagen, die für die Planungsarbeit des Architekten im Umgang mit Licht unverzichtbar sind. Diese werden von "Außenstehenden" selten in vollem Umfang mit den sich ergebenden Verknüpfungen und den folgenden Konsequenzen erkannt, obwohl der "Außenstehende" der Nutzer und eigentlich Betroffene ist. Stellvertretend agiert der Architekt als Sachwalter. Er übernimmt die Rolle eines Generalisten, was sich im Facettenreichtum des Beitrags wiederspiegelt.

So werden die Raumgestaltung - ausgehend von einer Definition des Raumes - und der Gestaltungsprozeß - basierend auf Gegensatzpaaren - beschreiben. Großform, Feinform und Detailform werden aus Kontrasten geboren und zur Raumgestalt verwoben. Die Gestaltungsabsicht und das Raumkonzept werden durch das Erscheinungsbild der Raumhülle offenbar und durch die Umschreitbarkeit oder Begehbarkeit integrierter Objekte maßstäblich unterstützt.

In jedem Raumkonzept schlummert ein Lichtkonzept, das den Raum sichtbar macht, dem Raum Charakter verleiht und eine spezielle oder auch vielfältige Nutzung zuläßt. Beim Umgang mit Tageslicht hat die Raumhülle eine subtrahierende Funktion, indem sie einen Teil der in der Hemisphäre vorhandenen Lichtfülle nur in dosierter Menge und aus bevorzugten Richtungen in den Raum wirken läßt. So erhalten Räume spezifische oder neutrale Raumquerschnitte, die für eine bestimmte Lichtführung zugeschnitten sind oder aber nach Bedarf mit Oberlichtöffnungen versehen werden, welche ihrerseits Besonderheiten aufweisen können. Die Metamorphose des abstrakt stereometrisch bestimmten Raumes in den erlebbar beleuchteten Raum, führt zum architektonischen Raum mit dessen Raumqualitäten. Diese werden in Form eines Kataloges aufgelistet.

Ohne Licht kein architektonischer Raum, ohne Sehapparat keine visuelle Wahrnehmung und ohne Sehen keine Raumbeziehung, so könnte eine Kurzformel lauten. Raumbeziehungen entstehen durch Eindrücke, welche über die optische oder über die energetische Sehbahn transportiert werden. Dabei werden optische Eindrücke in der hinteren Großhirnrinde verarbeitet. Aus dem Sehzentrum können sie in das Bewußtsein gelangen und auch in Worten beschrieben werden. Eindrücke, welche über die energetische Sehbahn transportiert werden, gelangen in das Zwischenhirn, um im Limbischen System mit anderen Sinneseindrücken unreflektiert zu verschmelzen, unwillkürlich neuronal Reflexe auszulösen und den Hormonhaushalt zu steuern. Das Raumgefühl, die Anmutung des Raumes, entsteht also emotional im Unterbewußtsein und ist daher weit schwieriger analysierbar. Dennoch ist das Raumgefühl, als Summenergebnis aller Sinneseindrücke, keineswegs nur subjektiv, sondern ein Signal kreatürlicher Zustimmung oder Abneigung, - stimulierend oder auch desillusionierend. Tageslicht im Tages- und jahreszeitlichen Rhythmus und im Wechsel von "gelbem" Sonnenlicht und "blauem" Himmelslicht ist hierbei von vitaler Bedeutung.

Optische Eindrücke werden im Gesichtsfeld aufgebaut und mit angeborenen und erlernten Mustern verglichen. Das foveale und das periphere Gesichtsfeld sind hierbei gleichrangig beteiligt und durch rezeptive Felder verbunden. Den summarischen Eindrücken, den Detailinformationen mittels unermüdlicher Blicksprünge, sogenannter Sakkaden, und dem Raumgedächtnis verdanken wir unsere visuelle Raumwahrnehmung, die sich in drei Wahrnehmungsebenen vollzieht: Kontur-, Helligkeits- und Farbwahrnehmung, wie von der bildenden Kunst abzuleiten. Schnelle rationale Informationen werden durch semiotische Elemente vermittelt, die in perspektivisch-räumlichen Zusammenhang gebracht werden können.


Das biologisch existentielle Befinden und Verhalten wird wesentlich durch die Helligkeitsverhältnisse im Raum bestimmt. Doch der seelische Zustand und die Anmutung werden besonders durch die Farbigkeit beeinflußt. Visuelle Wahrnehmung ist ein synergetischer Prozeß, bei dem sich foveales und peripheres sowie statisches und dynamisches Sehen beim Wechsel vom Ganzen zum Detail, vom Stand zur Bewegung, vom Hellen zum Dunklen und vom Bunten zum Unbunten ergänzen.

Raumwahrnehmung und Objektwahrnehmung sind gleichermaßen von der Erkennbarkeit der Oberfläche abhängig. Bedingt durch den komplimentären Charakter werden sie dennoch unterschiedlich wahrgenommen: der Raum als bergende Form, Hohlform oder Negativform und das Objekt als geborgene Form, Vollform oder Positivform. Es bestehen auch Unterschiede in der Dimensionalität von Objekten: Flachwaren, wie Tafeln und Bilder, sind zweidimensional, während Geräte und Gebrauchsgegenstände in der Regel, einer Plastik vergleichbar, dreidimensional sind. Über die Materialhaftigkeit, Strukturhaftigkeit, Farbigkeit und Erkennbarkeit semiotischer Elemente hinaus - so wie sie bei der Präsentation von Flachware erwartet werden - sollten bei plastischen Objekten gute Modellierung und Hervorhebung der Form hinzukommen. Häufig sind nicht alle Parameter gleichermaßen erfüllbar, so daß Prioritäten gesetzt werden müssen. Die Frage nach der Modellierbarkeit und der Bedeutung des Schattens in seinen vielfältigen Erscheinungsformen darf hierbei nicht übersehen werden.

Erfahrungen im Umgang mit der Beleuchtung von Räumen und Objekten zeigen, daß die Anwendungen einfacher Regelwerke einer Ergänzung durch psychophysiologische Überlegungen bedürfen. Die sogenannt objektive Betrachtungsweise des Ingenieurs, die sich am Meßbaren orientiert, muß verbunden werden mit den Signalen unseres äußerst komplexen Sinnesapparates, die sich mit Empfindung, Anmutung und Raumgefühl umschreiben lassen und vom Architekten gepflegt werden. So wird die sogenannt subjektive Betrachtungsweise des Architekten eher zu einer vertieften objektiven.

Eine numerisch noch so sorgfältige Berechnung photometrischer Werte, wie Beleuchtungsstärken und Leuchtdichten, bleibt unbestimmt, solange nicht unser menschlicher Bewertungsmaßstab bedacht wird, der uns vom photopischen über das mesopische bis zum skotopischen Sehen begleitet. Der Bewertungsmaßstab wird verkörpert durch ein Sehmodell, das photometrische Werte in Empfindungswerte transformiert. Erscheinende Helligkeiten, Wahrnehmungsgrenzen, Blendungsgrenzen, Farbwahrnehmungsgrenzen u. a. mehr werden abschätzbar.

Die Entscheidungs- und Planungshilfe am Ende des Beitrags beschränkt sich auf die Beleuchtung von Räumen mit Oberlichtern, die einfache Deckenöffnungen in neutralen Raumquerschnitten darstellen. Es wird ersichtlich, daß sogar unter so reduzierten Bedingungen eine Vielfalt von Oberlichtvarianten entstehen, welche in spezifischer Weise lichttechnische und gestalterische Funktionen erfüllen. Denkansätze erleichtern die Abschätzung der Wirksamkeit geplanter Maßnahmen bis hin zur Lichtverteilung im Raume.

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© 2002 Prof. Dr.-Ing. Volkher Schultz
(Architekt, vormals Fachhochschule Lippe / Abteilung Detmold.
Lehrgebiet Entwerfen von Räumen, insbesondere Licht und Farbe
Gründer des Lichtlabors für Architekten und Innenarchitekten.)